ON PARADISE | About - Ingolf WatzlawIngolf Watzlaw
ON PARADISE | About

Hintergrund / background
 
Im Jahr 2019 war im Berliner Martin-Gropius-Bau die Ausstellung „Garten der irdischen Freuden“ zu sehen.
Schon im Vorfeld der Ausstellung wurde ein Gemälde mit dem Titel „Garten der Lüste“ aus der Schule des Hieronymus Bosch gezeigt, das mich auf merkwürdige Art faszinierte.
Das Bild hing solitär in einem Raum und war in seiner Vielschichtigkeit kaum zu erfassen.
Vielfältige Gestalten und Figuren bevölkern eine flache gartenartige und von Gewässern durchzogene Landschaft.
 
Das Gemälde ist eine Kopie der Mitteltafel von Hieronymus Boschs gleichnamigem Triptychon, das um 1500 entstand, einer Zeit die ähnlich wie die Gegenwart von vielfältigen Veränderungsprozessen und Umweltzungen geprägt war. Das Bild gehört heute zu den bekanntesten Werken, die im Museo del Prado in Madrid hängen. Bosch hat darin eine Art utopisches Weltpanorama seiner damaligen Gegenwart erschaffen, wobei ein Teil seiner Bilderwelt durch die kurz zuvor in Nürnberg erschienene Schedelsche Weltchronik inspiriert war, in der das Wissen der damaligen Zeit erstmals in einem Band zusammengetragen wurde.
Nach einer Interpretation des Kunsthistorikers Hans Belting, geht es Bosch insbesondere auf der Mitteltafel des Werks, um die Frage nach der biblischen Utopie, wie ein Paradies ohne Sündenfall aussehen könnte (1), wobei eine eindeutige ikonografische Deutung aufgrund der Vielzahl der einzelnen Motive kaum möglich ist.
 
Worum es geht / about
 
Ausgehend vom zentralen Paradiesthema und der Idee des Weltpanoramas in Boschs 4-teiligem Gemälde, Ikonografie des Paradies ist, begebe ich mich in ON PARADISE auf die Spurensuche nach dem Paradiesmotiv im beginnenden Anthropozän.
Doch was ist gemeint wenn vom Paradies gesprochen wird? Nach tradierter Lesart ist es für jene, die das irdische Sein als einen Ort empfinden, der „ein starkes Gefühl von Eingeschlossensein, Elend, Limitierung, Krankheit, Trauer um die Toten und Sorge um die Lebenden“ heraufbeschwört, ein dem entgegengesetzter Ort eines „Jenseits voll des Friedens, Lohns und Heils (2).“
 
Diese Auffassung, bei dem die Suche nach dem Paradies als Suche nach einem konkreten, aber nur schwer erreichbaren Ort verstanden wird, hat eine lange Tradition in der christlich/ abendländischen Kunst und Kultur und ist bis heute lebendig, wenn auch nicht mehr aus christlicher Motivation.
Aber weil es sich dabei um eine rein topologisch angelegte Suchfigur handelt, deren Ergebnis nur eine Ortsverschiebung sein kann, erscheint die Suche in einer vollständig durch kartografierten Welt aussichtslos.
Letztlich ist die Vorstellung vom Paradies als einem konkreten Ort der Erfüllung reine Illusion, impliziert sie doch die potentielle Erreichbarkeit innerhalb der irdischen Welt. Dass dieser Glaube an das irdische
Paradies allzu oft zu Gewalt geführt hat – und immer noch führt, sei nur am Rande bemerkt.
Doch hat, wie Bruno Latour zeigt, die Suche nach der konkreten “anderen Welt“ eines vermeintlichen Paradieses einen hohen Preis:
Statt sich mit den realen Gegebenheiten des Seins kritisch und konstruktiv auseinanderzusetzen, diese zu akzeptieren und das Beste daraus zu machen, suchen wir in einer sich ständig wiederholenden Flucht- oder Ausweichbewe-gung nach einem Ort den es nicht geben kann, der Utopie des Paradieses. (3)
 
So ist im angebrochenen Anthropozän das wiederkehrende Paradiesmotiv nichts anderes als die letzte Zuflucht einer ausgelaugten Zivilisation, ein Gegenpol und zugleich Fluchtpunkt unserer nicht enden wollenden, sich in den digitalen Netzen immer weiter vervielfältigenden Gegenwart, in der sich Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft nicht mehr voneinander lösen können.
Diese Zivilisation, so scheint es gegenwärtig, hat im Niemandsland zwischen Krieg, Klimawandel und Pandemie die Fähigkeit verloren, die Erzählung einer positiven Zukunft glaubhaft zu vermitteln, wodurch die vielfältigen Krisen der Gegenwart zusätzlich befeuert werden. Es scheint als wären wir in einem Käfig aus Nachrichten, Meinungen und Katastrophen eingeschlossen, ohne dass wir einen Ausweg, oder gar den vielbeschworenen Weg zurück ins Paradies finden können.
Interessanterweise bezeichnet das altpersische Wort pairidaēza eine eingezäunte Fläche. Das griechische Wort Paradeisos leitet sich davon ab und bezeichnet ursprünglich die persischen Königsgärten, abgeschottete Orte, zu denen die gewöhnlichen Sterblichen keinen Zugang hatten, so wie es uns heute verwehrt bleibt, die abgeschotteten Villen, Clubs und Events der Milliardäre zu betreten.
Doch weshalb sollten wir uns für abgeschottete Orte interessieren?
Müssen wir uns nicht gegen die Abschottung als Methode auflehnen?
Sollten dazu wir mit der Suchbewegung nicht bei uns anfangen, ausgehend von unserem alltäglichen Umfeld um die Mauern erneut einzureissen?
Wäre es nicht das Beste, auf die Idee irgendeines Paradieses gänzlich zu verzichten und die Landschaft als ganzes zu betrachten, ohne die Bedingungen der Abgrenzung?
 
In meinem mehrteiligen Projekt ON PARADISE versuche ich, diesen Fragen vom Standpunkt meiner eigenen Welterfahrung aus, nachzugehen.
Dazu ersetze ich die Suchbewegung durch den Modus der Beobachtung und schliesse mich selbst in diese Beobachtungen ein. So ist das Projekt für mich eine Art Versuch über die Welt, meine Welt.
 
“Wir müssen uns Sisyphos als glücklichen Menschen vorstellen”, schreibt Albert Camus am Ende seines Essays “Der Mythos von Sisyphos”.
Vielleicht liegt darin ja der Schlüssel zu dem, was wir mit dem Begriff Paradies immer noch assoziieren:
Das Handeln in der Gegenwart, ohne den Blick abzuwenden und auf eine transzendente, oder irgendwie bessere Welt zu hoffen.
 


 
1 | siehe Belting, Hans: Hieronymus Bosch, Garten der Lüste, München 2002
2 | Latour, Bruno: Wo bin ich? Lektionen aus dem Lockdown, S. 73, Berlin 2021
3 | ebd. S. 71 ff.