ON PARADISE - Ingolf WatzlawIngolf Watzlaw
ON PARADISE

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  • Prolog …

    “Das Paradise is here – 

    obwohl das Paradise gar nicht here is (…)”

    Dekadance 1992
     
    Ich lehne mich zurück. Mein Blick aus dem Fenster fällt auf einen regnerischen Dienstag. Draußen wird es dunkel. Ich stelle mir ein Schiff vor. Ein auslaufendes Schiff, mittlere Größe, etwas in die Jahre gekommen, nichts Besonderes. Langsam bewegt es sich im Dämmerungslicht stadtauswärts. Ich bilde mir ein, die Schiffssirene mehrmals hintereinander tuten zu hören, kann aber unmöglich sagen wie oft. Als ich die Sirene zum letzten Mal im Ohr habe, ist das Schiff aus meiner Einbildung verschwunden. Jedenfalls ist es nicht mehr sichtbar, irgendwie aber noch immer anwesend.
     

     
    Ich drehe meinen Kopf vom Fenster weg und blicke zurück im den Raum auf ein unsortiertes Bücherregal. Ich stelle mir jetzt vor, auf diesem Schiff zu sein.
    Ich stehe an der Reling und schaue den immer kleiner und zugleich schwacher werdenden Lichtern der Stadt nach, während es langsam dunkler wird.

    Von Nordwesten her weht ein kühler Wind. Ich lege meinen Schal enger um den Hals und ziehe mir die Mütze auf den Kopf. Eine Weile stehe ich im Fahrtwind, den Blick auf das sich allmählich entfernende Land gerichtet, den Geruch von Meer und Abgasen in der Nase.

    Nach etwa einer Viertelstunde gehe ich hinüber auf die Steuerbordseite um aufs offen vor mir liegende indigoschwarze Meer zu schauen. Hier weht der Wind stärker und ich halte meine Mütze mit einer Hand fest, während ich mich mit der anderen an der Reling festhalte. Der Geruch nach Abgasen ist jetzt weg.

    Während ich auf das vor mir liegende Meer blicke, stelle ich mir eine Insel vor. Eine karge Insel, nicht zu weit vom Festland entfernt, nicht allzu dicht besiedelt, mit kleinen, niedrigen Häusern und einem Fischerhafen. Das Erste was ich von der Insel sehe ist das Blinken von vier oder fünf Leuchttürmen, deren kreisende Lichtkegel die nächtliche Insel für die Ankommenden markieren.

    Als ich das Schiff etwas später über einen schmalen Landungssteg verlasse, weht mir erneut ein kühler Wind entgegen, der nun nach Fisch und Seetang riecht.

    Ich stehe jetzt auf und gehe zur Balkontür die sich direkt neben dem Sofa befindet. Ich öffne sie und gehe einen Schritt nach draußen. Vor mir liegt die leergefegte nächtliche Straße. In zwei Fenstern des gegenüberliegenden Hauses brennt noch Licht. In einem davon das flackernde Licht eines Fernsehgeräts.

    In der Stadt ist der Anblick einer völlig leeren Strasse selten, da unter gewöhnlichen Umständen, zu eigentlich jeder Zeit immer irgendjemand auf der Straße unterwegs ist.

    Vom Balkon aus höre ich das monotone Rauschen eines leichten Regens. Das Licht der Straßenlaternen, deren typische Form noch aus der DDR stammt, wird von der nassen Straße reflektiert.

    Die Lichtkegel eines langsam heranfahrenden Autos kommen näher, während gleichzeitig die lauter werdenden Motoren- und Fahrgeräusche das Rauschen des Regens übertönen.
    Einige Sekunden später drängt sich das Rauschen des Regens wieder in den Vordergrund.

     


  • Der Garten # 01


     
    “You will find me if you want me in the garden
    Unless it’s pouring down with rain (…)”
    Alexander Hacke / Blixa Bargeld / Andrew Chudy | Einstürzende Neubauten

     
    Vom Paradies 01
     
    Wäre der Paradiesgarten auf einer Insel gelegen, Gott hätte die Menschen nicht vertreiben können.
    Die Flucht über’s Meer wäre ihr sicherer Tod gewesen.
    Schiffe hatten sie damals keine und schwimmen konnten sie ohnehin nicht gut.
    So sind sie, stur wie sie immer schon waren, geblieben und ignorierten einfach Gottes Aufforderung doch endlich zu gehen.

    Gott indes hatte irgendwann genug vom Ungehorsam und von der Sturheit der Menschen und ist selbst gegangen.
    Aber es hat ihn natürlich gewurmt. Also hat er es regnen lassen: tagelang, wochenlang, monatelang und als fast alles überflutet war und nur noch ein kleiner Teil der Insel auf der sich der Garten befand im Trockenen lag, hat Gott sich der Menschen erbarmt und ein ihnen ein Boot geschickt.
    Die Menschen bestiegen das Boot und irrten lange Jahre über die Meere, bis sie schließlich irgendwo an festes Land getrieben wurden, wo sie einen neuen Garten anpflanzten, den sie dann schnell mit einer Mauer umgrenzten, damit Gott nicht hineinkommt und sich wieder mit neuen Anweisungen wichtig macht.
    Diesen Garten nannten sie Paradies. Wo er genau lag weiß heute niemand mehr. Seither treibt uns Menschen aber die Sehnsucht nach umzäunten Gärten um.
    Uns so ist es gerade diese Sehnsucht die dazu führt, dass einige Jägerzäune um ihre Gärten ziehen, andere sogar Zäune um ganze Länder zu ziehen, koste es was es wolle. Nur wenige wissen, das von Gott ohnehin nicht mehr viel zu befürchten ist, dieser ist längst im Ruhestand und hat sich in seinen eigenen himmlisch umzäunten Garten zurückgezogen.
     

     


  • Der Garten # 02


     
    “Heaven
    Heaven is a place
    A place where nothing
    Nothing ever happens”
    Talking Heads

     
    Vom Paradies 02
     
    Die Sache ist ziemlich klar. Es gibt kein Paradies. Es hat wohl nie eines gegeben und es wird nie eines geben. Überhaupt, was soll das sein, dieses Paradies. Eine komische Vorstellung von einem Ort an dem alles irgendwie stimmt schleicht sich ein. Hier könnte man endlich sein. Keiner stört, keine Nervensägen, das Essen schmeckt und keiner muß mehr irgendwas, absolute Freiheit von Allen, nur ein sich den Wonnen ergebendes Sein.
    Wie schön.
    Die Vorstellung der absoluten Erfüllung setzt die Vorstellung der absoluten Leere voraus. Nur dort wo etwas fehlt kann etwas erfüllt werden. Die Utopie des paradiesischen Ortes setzt voraus, das immer irgend etwas fehlt oder nicht richtig ist. Erst das Gefühl des Mangels lässt uns einen Ort suchen an dem es eben diesen Mangel nicht gibt. Genau betrachtet fehlt dann aber das Gefühl des Begehrens, denn was sollen wir begehren wenn alles längst erfüllt ist? Und ist nicht das Begehren der Antrieb schlechthin, der uns erst in Bewegung versetzt? Was also sollte uns überhaupt noch bewegen an jenem paradiesischen Ort?
    Es wäre sterbenslangweilig dort gerade weil es uns an nichts mehr fehlt. Kein Wunsch der uns antreibt, nichts, rein gar nichts würde mehr passieren. Die endlose Wiederholungsschleife des immer Gleichen erwartet die Paradiessuchenden. Aus dem kurzen Glücksgefühl endlich angekommen zu sein wird endlose Langeweile. „Der Himmel“ singen die Talking Heads, „ist ein Ort, an dem niemals etwas passiert“.